Reisebericht Rajasthan – Tag 2: Von Delhi nach Jaipur

Früher Vogel fängt die leere Moschee

Tag 2. Wecker klingelt. Zu früh? Viel zu früh? Nein, es lohnte sich, denn es ist kein Urlaub. Wir reisen! Reisen ist die bewusste Auseinandersetzung mit fremden Orten, Menschen und Kulturen, die den eigenen Blick auf die Welt erweitert. Es ist eine Quelle der Inspiration, die neue Perspektiven eröffnet und kreative Impulse liefert. Anders als Urlaub bedeutet Reisen aktive Erkundung, Lernen und das Eintauchen in das Unbekannte.
Unser Ziel vor der Fahrt: Die große Moschee in Old Delhi, bevor der Touristenansturm einsetzt. Und was soll ich sagen? Plan aufgegangen!

Die Jama Masjid – so heißt das imposante Bauwerk – empfing uns in einer fast unwirklichen Leere. Nur ein paar Gläubige, eine Hand voll Touristen, ein paar Tauben und wir. Perfekt für mich und meine Kamera! Diese Ruhe, dieses Licht am frühen Morgen… unbezahlbar.

Vor der Moschee traf ich auf einige Einheimische, die sich gerne fotografieren ließen. Diese Gesichter! Jede Falte erzählt eine Geschichte, jeder Blick verrät Lebenserfahrung. In der Moschee selbst dann dieses faszinierende Spiel aus Licht und Schatten, das durch die Bögen fällt. Ein Fotograf-Traum, sage ich euch!

Old Delhi – wo das echte Leben pulsiert

Die Gassen von Old Delhi – früh morgens erwacht hier das Leben: Händler bauen ihre Stände auf, erste Kunden feilschen um Preise, alles ist in erwachender Bewegung.

Aber Old Delhi zeigte uns auch seine andere Seite – die Armut, die hier so sichtbar ist wie nirgendwo sonst. Familien, die auf der Straße leben, Kinder, die betteln, zerlumpte Kleidung, improvisierte Behausungen. Die Kamera soll gar keine Distanz schaffen, sie soll die Realität einfangen, neutral. Diese Bilder sollen wirkliches Leben aufzeigen. Leben, wir wir es ja sonst nie kennenlernen und uns damit gerne in einer bestimmten Filterblase agieren, schlimmer, argumentieren lassen. Das faszinierende – keiner dieser Menschen ist griesgrämig, unfreundlich, aufdringlich.

Auf ins Abenteuer: Die Fahrt nach Jaipur

Dann hieß es: Ab auf die Straße! Nächstes Ziel: Jaipur. Aber erst mal mussten wir „überleben“… indischer Verkehr ist kein Verkehr – es ist organisiertes Chaos. Oder chaotische Organisation? Wie auch immer.

Stellt euch vor: Drei Spuren sind markiert, fünf werden genutzt. Busse drängeln, Motorräder schlängeln sich durch jede noch so kleine Lücke, Hupen ist keine Beschwerde, sondern Kommunikation. „Ich bin hier!“ – „Ich will da hin!“ – „Achtung, ich überhole!“ Alles per Hupe. Ein akustisches Abenteuer.

Unser Fahrer? Cool wie ein Eiscreme-Verkäufer in der Wüste. Für ihn schien das alles völlig normal. Für mich? Hey – so ist Indien! Ich sah mir alles neugierig, genüsslich, entspannt an. ICH war entspannt 😀
Und ich genoss es, das Treiben am Straßenrand zu beobachten. Menschen, Alltag, Kultur – Leben.

Raststätten-Fotosession mit Überraschungsgästen

Irgendwann brauchten wir eine Pause. Raststätte – klingt so deutsch, ist aber in Indien ein Erlebnis für sich. Während ich meinen Espresso schlürfte, entdeckte ich sie: diese junge Servicekraft mit diesen strahlenden Augen. Ein kurzes Fragen, ein Nicken, und schon hatte ich eines meiner Lieblingsporträts der Reise im Kasten.

Auch unseren Guide erwischte ich, was ihn dann dazu veranlasste, mehr und mehr Porträts für ihn zu machen, die er seiner Familie schickte.

Heilige Kühe und freche Affen – ein ungeplanter Stopp

Auf halber Strecke dann ein spontaner Halt: Heilige Kühe wurden am Straßenrand gefüttert. Ein alltägliches Ritual hier, aber für uns ein faszinierendes Spektakel. Kaum standen die ersten Menschen mit Futter da, tauchten sie auf: Affen! Flink, frech und furchtlos schnappten sie sich ihren Anteil.

„Futter ist für alle da“ – dieses indische Konzept des Teilens hat was. Die Kühe schienen es mit stoischer Ruhe zu nehmen. Die Affen waren… nun ja, Affen eben. Opportunistisch bis in die Haarspitzen.

Unerwartete Begegnung – Haare und Lachen

Und dann passierte es – einer dieser magischen Momente, die man nicht planen kann. Eine Gruppe junger Frauen stand am Wegesrand. Bunte Saris, kicherndes Lachen, neugierige Blicke in meine Richtung.

Ich fragte, ob ich ein Foto machen dürfe. Eine von ihnen wurde von den anderen vorgeschickt – begleitet von Gekicher und gedämpften Kommentaren. Was sie sagten, verstand ich nicht, aber die Gesten waren universal: „Zeig ihm doch deine Haare!“

Und tatsächlich – mit einem verschmitzten Lächeln hob sie kurz ihren Schleier an, zeigte ihre prachtvollen schwarzen Haare im Ansatz, und alle brachen in Gelächter aus. Dieser unbeschwerte Moment, diese kurze Verbindung zwischen völlig unterschiedlichen Welten – das ist es, was Reisen so besonders macht.

Der Tag war noch lange nicht zu Ende, aber schon jetzt wusste ich: Jedes Klischee über Indien stimmt – und keines. Dieses Land ist so viel mehr als die Summe seiner Teile. Und wir hatten gerade erst angefangen, es zu entdecken…

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